Die sinnzentrierte Autobiografie als Ressource der Persönlichkeitsentwicklung

Unsere Lebensgeschichte hat eine tiefgreifende Auswirkung auf unsere Persönlichkeitsentwicklung. Die bisher angewandten Lebensstrategien, Verhaltens- und Deutungsmuster und sogar der noch nicht umgesetzten Lebenspläne können dazu beitragen, die persönliche Entwicklung voranzutreiben. Eine gründliche Reflexion über das eigene Leben kann von verschiedenen psychologischen Perspektiven aus erfolgen. Eine sinnzentrierte Autobiografie ermöglicht es uns, uns selbst besser zu verstehen und unseren Lebenssinn zu entdecken.


Die Bedeutung der sinnzentrierten Biografiearbeit

In einer Gesellschaft mit vielfältigen Lebensentwürfen ist das Bedürfnis nach Unterstützung bei der Identitätsbildung besonders ausgeprägt. Indem wir unsere Lebensgeschichte reflektieren, erhalten wir die Möglichkeit, uns selbst besser kennenzulernen. Eine solche Selbstreflexion ermöglicht es uns, unsere Erfahrungen aus einer neuen Perspektive zu betrachten und daraus wertvolle Erkenntnisse für unseren weiteren Weg zu gewinnen. Selbstreflexion ermöglicht es uns, unsere Werte und Überzeugungen genauer zu betrachten und zu verstehen, wie sie unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen.

Das Schreiben spielt ebenfalls eine zentrale Rolle, denn es hilft uns dabei, unsere Gedanken und Gefühle festzuhalten und zu strukturieren. Durch das Verfassen unserer eigenen Geschichte können wir uns bewusst mit den Werten und Überzeugungen auseinandersetzen, die unserem Leben einen Sinn geben.

Es ist ein kraftvoller Prozess der Selbsterkenntnis, der es ermöglicht, den persönlichen Lebenssinn zu identifizieren und ihn in den Alltag zu integrieren. Wir gewinnen Klarheit über unsere Ziele und Prioritäten, stärken unser Selbstvertrauen und entwickeln eine positive Lebenseinstellung. Es geht auch darum, sich selbst zu hinterfragen, seine Stärken und Schwächen zu erkennen und daraus wertvolle Erkenntnisse für das eigene Leben zu gewinnen.

 

Methoden der Biografiearbeit

Es gibt verschiedene Methoden zur Identifizierung des persönlichen Lebenssinns. Diese können sowohl modifizierte Ansätze aus anderen Wissenschafts- und Arbeitsfeldern umfassen wie zum Beispiel das Genogramm oder die Aufstellungsarbeit aus der Systemischen Familientherapie, als auch eigenständige Methoden, darunter Erzählcafés, Lebensbücher oder Erinnerungskoffer.

Narrative Techniken wie das Erzählen und Aufschreiben, beispielsweise in Form eines Tagebuchs, sind ebenso Teil der Biografiearbeit wie kreative Ansätze, etwa Malen, Modellieren, das Erstellen von Collagen und die Verwendung von Naturmaterialien. Die Arbeit mit Körper- und Sinneswahrnehmungen spielt ebenfalls eine Rolle. Meditative und assoziative Verfahren wie Fantasiereisen und Bildassoziationen werden genutzt, um auch unbewusste Anteile anzusprechen. Die Einbeziehung von Medien wie Familienfotos, Familienfilmen und Musik kann beim Erinnern unterstützen. Besonders bei den kreativen Methoden findet häufig eine grafische Visualisierung Anwendung, zum Beispiel beim Erstellen von Wappen, Lebensbäumen, Lebenssprüchen oder Stundenplänen.

Eine Absolventin unserer Ausbildung Lebens- und Sozialberatung hat sich dem Thema Sinnzentrierte Biografiearbeit gewidmet und ist durch ihre Diplomarbeit der Frage nachgegangen, inwiefern sinnzentrierte Biografiearbeit eine Ressource für die Persönlichkeitsbildung sein kann.

In dieser Arbeit wird der Ansatz der Logotherapie und Existenzanalyse Viktor E. Frankl im Kontext der Biografiearbeit angewandt. Durch die Integration seines dreidimensionalen Menschenbildes, das eine einzigartige Perspektive auf die körperliche, seelische und geistige Dimension bietet, erfährt die Biografiearbeit eine Optimierung der Selbstdistanz und Selbsttranszendenz, die als immanente Aspekte der geistigen Dimension verdeutlicht werden. Sinnzentrierte Biografiearbeit bedeutet eine Betrachtung des Lebens in Selbstdistanz und Selbsttranszendenz, wobei die Grundannahme eines von Anfang an vorhandenen Lebenssinn zugrunde liegt.

 

Die geführte Autobiografie nach Elisabeth Lukas

Der sinnzentrierte Ansatz in der Biografiearbeit wird durch die geführte Autobiografie nach Elisabeth Lukas veranschaulicht. Diese Methode, ursprünglich in logotherapeutischen Selbsterfahrungsgruppen angewendet, ermöglicht eine reflektierte Auseinandersetzung mit den von den Teilnehmern verfassten Lebensabschnitten. Die geführte Autobiografie kann sowohl in Gruppen als auch in Einzelarbeit unter Anleitung eines Beraters oder einer Beraterin durchgeführt werden. Sie umfasst die drei zentralen Vollzüge der Biografiearbeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die geführte Autobiografie nach Elisabeth Lukas ist in neun Kapitel unterteilt, die spezifischen Lebensphasen und -themen gewidmet sind:

  1. Kapitel: Meine Eltern
  2. Kapitel: Meine Vorschulzeit
  3. Kapitel: Meine Schulzeit
  4. Kapitel: Meine Erwachsenenzeit
  5. Kapitel: Meine Gegenwart
  6. Kapitel: Meine nähere Zukunft
  7. Kapitel: Meine fernere Zukunft
  8. Kapitel: Mein Sterben
  9. Kapitel: Meine Spuren in dieser Welt

Die Aufzeichnungen erfolgen in jeweils zwei gegenüberliegenden Spalten. Die linke Seite erzählt chronologisch und utopisch von vergangenen Ereignissen und Zukunftsvisionen, während die rechte Seite zur Selbstdistanz und Selbsttranszendenz anregt. Hier werden Fragen nach Bewertung, Lernmöglichkeiten, Sinnspuren und zukünftigen Sinnzielen gestellt.

Diese Momente können Hinweise darauf geben, was uns im Leben erfüllt und glücklich macht. Durch das Aufschreiben unserer Gedanken und Gefühle können wir Klarheit über unsere eigenen Bedürfnisse gewinnen. Das Bestreben dieser geführten Autobiografie ist die Verknüpfung des Lebens mit einem übergeordneten Sinn, die Erkennung bereits gewirkter und noch zu erwirkender Sinnmöglichkeiten sowie die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung.

 

„Lächle nicht darüber, denn es ist wahr:
Deine Gedanken, Worte und Werke werden in das >Buch des Lebens< von keinem andern als von dir selbst eingetragen.“
- Mark Twain

Fazit: Die sinnzentrierte Biografiearbeit hat das Potenzial unser Leben nachhaltig zu ändern

Sinnzentrierte Biografiearbeit zeichnet sich durch ihre entdeckende Natur aus, im Gegensatz zu einer rein aufdeckenden Methode. Die Logotherapie betrachtet die menschliche Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und Selbsttranszendenz als heilsam und als eine Quelle der inneren Kraft. Diese beiden Fähigkeiten spielen in der Logotherapie auch eine entscheidende Rolle in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung.

Persönlichkeitsentwicklung wird in diesem Kontext als Selbsterziehung verstanden, bei der eine aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Charakter erfolgt. Diese Auseinandersetzung wird durch die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz motiviert, die wiederum auf den Sinnaufruf des Logos reagiert. So wird Persönlichkeitsentwicklung als Realisierung von Sinn verstanden.

Eine sinnzentrierte Autobiografie hat das Potenzial, unser Leben nachhaltig zu verändern. Sie gibt uns die Möglichkeit, alte Denkmuster und Verhaltensweisen loszulassen und uns bewusst für eine positive Weiterentwicklung unserer Persönlichkeit einzusetzen. Fallbeispiele erfolgreicher Persönlichkeitsentwicklung durch eine sinnzentrierte Autobiografie in unseren Ausbildungen zeigen immer wieder auf eindrucksvolle Weise, wie Menschen durch diesen Prozess ihre Ziele erreichen konnten und ihr volles Potential entfaltet haben.

 

Die Autobiografiearbeit nach Dr. Elisabeth Lukas ist fester Bestandteil unseres Lehrplans im Rahmen der Lebens- und Sozialberater Ausbildung. Insgesamt ist eine sinnzentrierte Autobiografie nicht nur ein Schreibprojekt – es ist eine lebensverändernde Reise zu sich selbst. Durch die Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte und dem Finden eines tieferen Sinns können wir unsere Identität stärken, unsere Ziele klarer definieren und ein erfüllteres Leben führen. Es ist nie zu spät, diese faszinierende Reise anzutreten und die positiven Auswirkungen einer sinnzentrierten Autobiografie auf unser eigenes Leben zu erfahren.

 

Foto von Freepik

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